Wege aus dem Wachstumszwang

Warum die Politik die Beiträge der Postwachstumsbewegung nicht länger ignorieren darf

Der diesjährige Weltumwelttag fällt mit dem 3. internationalen Postwachstumstag (Global Degrowth Day 2021) zusammen. Thematisch besteht ein enger Zusammenhang, denn im Kern der Postwachstumsbewegung steht die Frage, wie ein gutes Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten organisiert werden kann. Wie sehr das gegenwärtige Wirtschaftssystem in beiden Aspekten scheitert, zeigt nicht zuletzt das Doughnut Modell von Kate Raworth auf eindrucksvolle Weise: während zwei Drittel der Weltbevölkerung mit weniger als 10€ am Tag ein Auskommen finden müssen, stößt der enorme Ressourcen- und Energiehunger der imperialen Lebensweise an ihre ökologischen Belastungsgrenzen.

Endloses materielles Wachstum, insbesondere in den reichen Nationen, ist mit den ökologischen Grenzen des Planeten nicht vereinbar. Die Diskussionen über exponentiell steigende Covid-19-Fallzahlen während der Pandemie haben das allgemeine Verständnis für die Geschwindigkeit eines exponentiellen Wachstums verstärkt. So entspricht eine jährliche Wachstumsrate von 3% einer Verdopplung innerhalb von nur 25 Jahren. In der Tat schätzt zum Beispiel die Internationale Energieagentur (IEA), dass trotz der Energiewende die globale Nachfrage nach kritischen Rohstoffen um ein Vielfaches steigen wird. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass der Ressourcenabbau und ihre Verarbeitung für 50% der weltweiten Treibhausgasemissionen sowie für 90% des Biodiversitätsverlustes verantwortlich ist.

Das Märchen der Entkopplung – warum Effizienz nicht ausreicht

Als Lösung für diesen Widerspruch werden praktisch ausschließlich Effizienzsteigerungen und die Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch ins Treffen geführt. Dabei wird jedoch ignoriert, dass es genau diese Effizienzsteigerungen sind, die den ressourcen- und energieintensiven Lebensstil der globalen Wohlstandsschicht überhaupt erst ermöglichen: sie verbilligen die Preise von Rohstoffen und Energie. Dadurch entstehen die gut dokumentierten zahllosen Rebound-Effekte: wird ein Produkt durch Effizienzsteigerungen günstiger, nutzen wir es intensiver, beschaffen mehr davon oder geben das eingesparte Geld für andere energieverbrauchende Produkte und Dienstleistungen aus. Effizienz wird damit zum Motor des Wachstums.

Auch das Märchen der Entkopplung hält der kritischen wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Mehrere Studien legen nahe, dass diese nicht, bzw. nicht im benötigten Ausmaß, stattfindet. Tatsächlich hat die Material-Intensität der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten zu- statt abgenommen. Was auf den ersten Blick wie eine Entkopplung des Rohstoffverbrauchs vom Wirtschaftswachstum scheint, ist letztlich nur eine Verlagerung des Naturverbrauchs in andere Weltregionen. Dazu kommt eine weitere Beobachtung: je größer die Wirtschaft ist, umso schwieriger ist ihre Dekarbonisierung und Dematerialisierung.

Das gute Leben für alle – heute und in Zukunft

Strategien zur Förderung der Suffizienz, also wie über Verhalten- und Lebensstilveränderungen der absolute Ressourcen- und Energieverbrauch gesenkt werden kann, sucht man in der politischen Debatte bislang vergeblich. Verfechter*innen der Suffizienz wird sogar nur allzu gern vorgeworfen, „Verarmungsideologien“ nachzuhängen oder gar „Öko-Diktaturen“ ausrufen zu wollen. Dabei könnte nichts falscher sein: Die Postwachstumsbewegung forscht und kämpft seit jeher dafür, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Sie weist allerdings darauf hin, dass der exzessive Naturverbrauch der globalen Wohlstandsschicht dem Recht auf eben jenes gute Leben für die Mehrheit der Weltbevölkerung fundamental entgegen steht. Ebenso hat das deutsche Verfassungsgericht vor kurzem festgestellt, dass die Politik nicht durch ihre Untätigkeit die Grund- und Freiheitsrechte der zukünftigen Generationen verletzen darf. Denn dem Märchen vom unendlichen (grünen) Wachstum weiter zu glauben, wird uns auf Dauer nur ins Chaos stürzen.

Vertreter*innen der Postwachstumsökonomie betonen, dass ein gutes Leben nicht mit einem hohen Konsumniveau gleichzusetzen ist. Viele Aspekte, die ein gutes Leben ausmachen, haben wenig oder gar nichts mit Konsum zu tun: erfüllende soziale Beziehungen, oder eine gesunde Umwelt beispielsweise. Kurze Wege, eine sichere Umgebung, die Abwesenheit von Stress und vieles mehr sind Dimensionen eines guten Lebens, die durch den Wachstumszwang unserer Wirtschaft nicht nur nicht verbessert, sondern sogar beeinträchtigt werden. Der Fokus auf die Maximierung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – ein denkbar schlechtes Maß für den Wohlstand einer Gesellschaft, wie selbst sein Erfinder bemerkte – verstellt den Blick aufs Wesentliche. Ziel sollte nicht die Maximierung der wirtschaftlichen Aktivität als Selbstzweck sein, sondern eine an den Bedürfnissen der Menschen und den ökologischen Grenzen unseres Ökosystems orientierte Wirtschaft. In diesem Sinne sollte die Politik die Beiträge der Postwachstumsbewegung aufgreifen und aktiv Wege suchen, wie Wohlstand auch ohne Wachstum zu sichern ist. Letztlich geht es in der Postwachstumsökonomie darum, den exzessiven Naturverbrauch planvoll zu schrumpfen, damit andere weniger materielle Dinge aufblühen können.