Solidarische Postwachstumsstadt

Unser Projekt "Solidarische Postwachtumsstadt"​

2020 - 2023

Durch unsere Solidarische Postwachstumsstadt Arbeitsgruppe wurde die Diskussion um eine Postwachstumsgesellschaft in den letzten Jahren auf lokaler Ebene erfolgreich weitergeführt. Angetrieben von der Vision einer solidarischen Postwachstumsstadt, in der jenseits vom Wirtschaftswachstum ein gutes Leben für alle innerhalb ökologischer Grenzen gesichert ist, haben wir die Frage untersucht, was das für Wien und in Wien bedeuten könnte. Mit Blick auf lokale und globale Beziehungen, städtische Strukturen und Organisation haben wir die Stadtentwicklung Wiens kritisch und konstruktiv weitergedacht.

Überzeugt davon, dass Transformation Allianzen benötigt, haben wir das gemeinsam mit Akteur:innen unternommen, die bereits die sozial-ökologische Transformation auf Wienebene vorangetrieben haben. Dabei haben wir uns auch in verschiedenen Formaten mit Konzepten wie Doughnut Economics, Kreislaufwirtschaft, Commons und Alltagsökonomie auseinandergesetzt. Einige unserer Ideen, Erfahrungen und Erfolge finden sich auf dieser Website.

Narrative der Postwachstumsstadt

EINLEITUNG

In Städten bilden und zeigen sich sozial-ökologische Probleme unserer Gesellschaft ganz besonders. Wien ist mit Problemen wie Hitzeinseln, Segregation oder Freiraumangel konfrontiert. Um den diversen Herausforderungen und der voranschreitenden Klimakrise entgegenzuwirken, wird im Rahmen von Stadtpolitik vermehrt auf das Paradigma der nachhaltigen Entwicklung gesetzt: dem vermeintlichen in Einklang Bringen von Wirtschaft, Sozialem und Ökologie. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich Emissionen und Ressourcenverbrauch reduzieren lassen, die Wirtschaft aber trotzdem wächst. Nach diesem Paradigma handelt auch die Wiener Stadtpolitik. Die Smart City Klima Strategie Wien propagiert: „Wien ist 2030 als Standort für kreislauforientierte und ressourceneffiziente Wirtschaft global bekannt und zieht Investitionen und Talente in diesem Bereich an.“ Bis 2040 soll für Wien Klimaneutralität erreicht werden, mehr Lebensqualität und eine umweltfreundliche Stadtplanung. In dem STEP 2035  (Stadtentwicklungsplan) wird der Weg zur „klimafreundlichen, sozialen und robusten Stadt“ versprochen.

Bislang gibt es nach systematischer Überprüfung diverser Studien kein Beispiel für eine erfolgreiche absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltschäden. Zudem zeichnet sich ab, dass Selbstbestimmung und politische Teilhabe zugunsten technokratischer Lösungen und Kommerzialisierung aufgegeben werden. Dabei wird das System von un- und unterbezahlter Arbeit von FLINTA*- Personen getragen. Stadtbewohner*innen sind so mit zahlreichen Problemen konfrontiert, wie steigenden Miet- oder Energiekosten und damit der zunehmenden Prekarisierung von Lebensverhältnissen. 

Gleichzeitig bündeln Städte große Transformationskräfte auf unterschiedlichen Ebenen, vom universellen Zugang zu grundlegenden Infrastrukturen,  bis hin zur Organisation in politischen Gruppen und dem Potenzial von mühsam erkämpften niederschwelligen Räumen.

Degrowth Vienna führt die Degrowth-Debatte mit dem städtischen Raum zusammen und stellt alte Narrative neuen gegenüber.

Stadt grün Wien

Bildquelle
Wien Urania, Zukunftsbild 2045 | Reinventing Society & Wire Collective (CC BY-NC-SA 4.0, Foto: Phoenixpix)

NACHBAR*INNENSCHAFT UND GUTES LEBEN

Altes Narrativ

Bei der Frage, wie Boden und damit Lebensraum in der Stadt genutzt bzw. über ihn verfügt wird, finden sich häufig intransparente Prozesse, die stark kommerziellen Interessen unterliegen. Bei Privateigentum ist die kommerzielle Verwertungslogik allgegenwärtig und führt zu Phänomenen, wie der Verdrängung von Mieter*innen mit unbefristeten Verträgen, Anleger*innenwohnungen und mittlerweile zu einem Überhang an teuren freifinanzierten Wohnungen im Neubau. Doch auch bei Flächen in öffentlicher Hand scheint in den höchsten verwaltungspolitischen Ebenen zunächst darüber nachgedacht zu werden, welche kommerziell verwertbaren Aktivitäten sich umsetzen lassen. So spitzen sich Krisen, wie bei der Wohnraumversorgung, der Verteilung öffentlicher Räume und der Marginalisierung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu.

Auto mit offenem Dach und mit Pflanzen drinnen

Bildquelle
(c) Florian Rainer, Cabriobeet

Neues Narrativ 

Neben der Befriedigung von Grundbedürfnissen durch materielle Güter wie leistbares Wohnen, leistbare Energie und einem Zugang zu Gesundheit, Pflege und Bildung, wird sich an den sozialen und nicht-materiellen Bedürfnissen der Stadtbewohner*innen orientiert und das Zusammenleben ins Zentrum gerückt.

  • Aneignungsräume für alle! Der Zugang und die Möglichkeit dazu sich niederschwellig Stadträume anzueignen und Alltagskultur zu leben, führen zu hoher Lebenszufriedenheit, unabhängig von persönlichen Situationen (Einkommen, Arbeit, Bildung). Ob öffentlicher Raum, der zum Aneignen einlädt, oder Veranstaltungsräume und Kulturzentren, die autonom und leistbar genutzt und bespielt werden können.
  • Bedürfnisse der Stadtbewohner*innen ins Zentrum stellen! Die erste Frage, wenn öffentlicher Boden eine neue Nutzung erfährt, sollte sein, welche drängenden Bedürfnisse der Nachbar*innenschaft dort befriedigt werden können. Soziokulturelle Infrastrukturen für alle sind zu stärken. Die Stadt Wien verankert auch bei privaten Projekten sozial-ökologische Mehrwerte über städtebauliche Verträge, damit Alle ihren gerechten Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Weitere Steuerungselemente für ein gutes Leben in der Stadt sind die Anpassung von Wohnbauförderungen, ökologische Vergabekriterien sowie die Überarbeitung von Entwicklungskonzepten.

SOLIDARITÄT STATT PREKARIAT

Altes Narrativ

Die heutige Wirtschaft drängt Menschen an allen Ecken in prekäre Situationen, in denen es oft unmöglich ist, sich über Wasser zu halten. Energiekosten sind für immer mehr Menschen gerade im Winter 2022/23 nicht leistbar. Unbezahlte und nicht wertgeschätzte Sorgearbeit macht einen großen Teil der Arbeitsstunden aus, wobei sie überwiegend von FLINTA*s übernommen wird. In der Stadtplanung stehen neoliberale Hochglanzprojekte im Fokus. Die alltägliche Nutzung der Stadt durch ihre Bewohner*innen rückt mehr und mehr in den Hintergrund. 

Build Solidarity not pipelines_ Demo Banner Stephansplatz

Neue Narrative

In einer Postwachstumsstadt wird das Zusammenleben von Grund auf solidarisch gestaltet sein. Dabei steht die Solidarität auf unterschiedlichen Säulen. Die Konturen werden hier abgebildet, das Konkrete muss verhandelt werden.

  • Alltag in den Fokus rücken! Es gibt kollektiv hergestellte Infrastrukturen und Dienstleistungen, die wesentlich für ein gesichertes und gelungenes Alltagsleben sind. Daseinsvorsorge, Nahversorgung, materielle, soziale und kulturelle Infrastrukturen stehen niederschwellig zur Verfügung. Wien hat hier im Gegensatz zu anderen Städten einen Vorteil,  da die Stadt einen Großteil der Infrastruktur (Wohnen, Energieversorgung, Mobilität, Gesundheit, Pflege, etc.) bereits besitzt oder zumindest maßgeblich beeinflusst. Dies gilt es in Wien und auch in anderen Städten im Sinne einer solidarischen Postwachstumsstadt noch radikaler umzusetzen!
  • Grundversorgung muss für alle Menschen gesichert sein! Universelles Grundeinkommen (UBI) und Universelle Grundversorgung (UBS) sind beides Vorschläge für eine kollektive Existenzsicherung. In einer solidarischen Postwachstumsstadt ist es wichtig, die marktwirtschaftlichen Mechanismen mit kollektiver Verantwortung zu untergraben.
  • Sozial-ökologische Infrastrukturen zeichnen sich durch Zugänglichkeit, Leistbarkeit und ökologische Nachhaltigkeit aus. Sie sind wesentliche Hebel, da sie Lebens- und Verhaltensweisen formen und individuelle Verantwortung und Entscheidungen vorwegnehmen.
  • Feministisch wirtschaften in einer solidarischen Gesellschaft, die an menschlichen Bedürfnissen, an der Sorge füreinander und für die Umwelt orientiert ist. Dies wird auch ins Zentrum ökonomischen Handelns gestellt. In dieser Degrowth-Zukunft widmen Menschen aller Geschlechter einen Teil ihrer Lebenszeit der Sorgearbeit und tragen so zum notwendigen kulturellen Wandel bei, um Sorgearbeit neu zu definieren, umzuverteilen und aufzuwerten. Es werden bestehende Machtverhältnisse aufgebrochen und politische Teilnahme wird ermöglicht. Weitere Kernelemente sind gerechtes Einkommen, Arbeitszeitverkürzung und soziale Infrastruktur (Kindergärten, Bildung, Betreuung, Beratung).

RECHT AUF POSTWACHSTUMSSTADT STATT TECHNOKRATIE

Altes Narrativ

„Smarte“ Stadtplanung soll sowohl die Klimakrise effektiv bekämpfen als auch den Wohlstand und die Zufriedenheit der städtischen Bevölkerung erhöhen. Dies geschieht unter  wissenschaftlicher Anleitung von Expert*innen, die eng mit Akteur*innen aus Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten. Dadurch kommt es zu einer zunehmenden Aushöhlung, Verteuerung und Unzugänglichkeit öffentlicher Güter, die dem internationalen Standortwettbewerb geopfert werden, sowie zu einer Verdrängung der Wohnbevölkerung. Marktorientierte Stadtplanung scheint innerhalb der neoliberalen Rationalität  und kapitalistischen Realität alternativlos.

Bürger*innenbeteiligungen wie Online-Befragungen, lokale Ideenwettbewerbe und Datenspenden sollen zwar Bewohner*innen in den Stadtplanungsprozess einbeziehen, dienen aber mehr der Informationsbeschaffung und Legitimierung technokratischer und wirtschaftlicher Maßnahmen als den Interessen der Menschen. Stattdessen sind insbesondere die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und marktkonforme Anpassungen zentrale Ziele, welche an wirtschaftlichen Indikatoren gemessen werden.

Neue Narrative

  • Postwachstumsstadt für alle! Die solidarische Postwachstumsstadt erschafft sich durch die Partizipation aller Bewohner*innen auf Augenhöhe ständig neu! Solidarische Postwachstumsstadt bedeutet eine Überwindung von Top-Down- wie auch Bottom-Up-Planung. Dafür gilt es, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, aber auch Konflikte sichtbar zu machen! Bisher unterdrückten und stummen Positionen wird Gehör verschafft, Hierarchien und Machtstrukturen aufgelöst!
  • Gemeinsam Alternativen zur Alternativlosigkeit schaffen! Kreative, lebensnahe und vielfältige Lösungen für kollektive Probleme werden gemeinsam gefunden und umgesetzt! Eine solidarische Postwachstumsstadt braucht die Pluralität von Meinungen, Perspektiven und Wissen, statt die Räume des Denkbaren und Möglichen durch einen selbstzerstörerischen internationalen Standortwettbewerb einzuengen.
  • Re-Claim the space! Es geht um eine umfassende Ausweitung und Vertiefung demokratischer Prozesse, um die (Wieder-)Aneignung der Stadt durch die Menschen, die in ihr wohnen, leben und arbeiten! Uns geht es um die Wiederaneignung von Orten des Alltags, der Begegnung und des öffentlichen Lebens. Die (Re-)Demokratisierung und (Re-)Politisierung aller Lebensbereiche der Stadt ist nicht nur der Weg zu einer solidarischen Postwachstumsstadt, sondern zugleich eines ihrer vielen Ziele! Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit sollen dabei an die Stelle bloßer politischer Repräsentation und Resignation treten!

BEISPIELE

Mit dieser Liste erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wollen lediglich Beispiele aufzeigen, die den Weg Richtung einer solidarischen Postwachstumsstadt ebnen könnten. Des Weiteren weisen auch unsere Beispiele Brüche mit dem Konzept auf.

 

LITERATURTIPPS

Dominik Wiedenhofer et al. 2020: TOPICAL REVIEW. A systematic review of the evidence on decoupling of GDP, resource use and GHG emissions, part I: bibliometric and conceptual mapping, Environ. Res. Lett. 15/2020.

Anton Brokow-Loga, Frank Eckhardt (Hrsg.) 2020: Postwachstumsstadt. Konturen einer solidarischen Stadtpolitik. München: oekom.

Noch mehr Infos zum Thema:

Vorstellung des Buchs “Postwachstumsstadt” auf der Degrowth Vienna 2020 Konferenz

Diskussion “Gutes Wohnen für alle” auf der Degrowth Vienna 2020 Konferenz

Gefördert von:

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